...und eine Stadt stand vor dem Abgrund.
Vor einigen Jahren stand der Mangaka Tetsuya Tsutsui in der Kritik, weil sein Werk Manhole Jugend gefährdent sei. Es begünstige Gewalthandlungen und straffälliges Verhalten bei jüngeren Lesern. Zu diesen Vorwürfen äußerte er sich später übrigens in Form eines weiteren Manga, der diese Thematik dezent auf die Spitze treibt, um so auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Doch wie gerechtfertigt ist dieser Schädlichkeitsbefund überhaupt und woran wurde er festgemacht?
Um das besser beurteilen zu können, sollten wir uns jedoch erst einmal mit dem Inhalt des Werkes befassen - was ironisch ist, denn genau der wurde bei der Begutachtung außer Acht gelassen.
Mitten in der Fußgängerzone kippt ein nackter, mit Schlamm bedeckter Mann tot um. Bei der Autopsie findet man einen bisher unbekannten Parasiten in seinem Körper, geht jedoch aufgrund gegebener Umstände nicht von einer Verbreitung der Krankheit aus. Was allerdings bis dato niemand weiß, ist dass der Tote bereits jemanden infiziert hat.
Die Ermittler Mizoguchi und Inoue sind damit beauftragt, den Umständen seines Todes und der Krankheit auf den Grund zu gehen. Dabei unterschätzen sie allerdings völlig die Komplexität des Geschehens.
Wenn wir den Manga nun betrachten, wie es der zuständige Ausschuss der Präfektur Nagasaki tat, dann sehen wir durchaus erst einmal erschreckendes Bildmaterial, das auf Zartbesaite schockierend wirken kann. Der mit Schlamm bedeckte Mann kann bei interpretarischer Freiheit ebenso so Anschein erwecken, mit Blut verschmiert zu sein. Auch das übrige Auftreten der Infizierten hat etwas Abschreckendes. Sie wirken willenlos und fremdgesteuert, sich ihrer Körperfunktionen kaum mehr bewusst. Das unappetitlichste Bild dürfte aber der Parasit sein, der sich über den Augapfel in das Gehirn seines Wirts frisst.
Tsutsui-san hat einen sehr reifen und detaillierten Zeichenstill, der solche Bilder perfekt in Szene setzt. Da die Beurteilung des Manga ausschließlich über eben solche Panel erfolgte, ist die entstandene Einstufung naheliegend. Aber ist sie auch gerechtfertigt?
Die Geschichte die sich hinter diesen Zeichnungen verbirgt, ist es absolut wert, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Denn die Handlung berichtet von dem ein oder anderen ergreifenden Schicksal; Schicksale die es in jeder Gesellschaft gibt und die absolut nicht totgeschwiegen werden sollten, egal wie abschreckend sie sein mögen. Es werden Konsequenzen aus diesen Lebenssituationen und der Umgang Betroffener mit Ihrem Los geschildert.
Sie erzählt vom Leidensweg Einzelner, sowie den Auswirkungen des Parasiten auf Infizierte, Gesellschaft und zuständige Behörden und Ermittler und spinnt ein komplexes Netz daraus.
Natürlich ist es nicht unbedingt schön anzusehen, wenn ein Körper von einer Krankheit dahingerafft wird. Doch was der Manga eindeutig nicht durch optische Darstellung oder gar seine Botschaft vermittelt, ist gewaltverherlichendes Verhalten. Es wird thematisiert und kritisch behandelt, jedoch nicht explizit und erst recht nicht kontextlos veranschaulicht. Der Zeichner ist sich seiner Stilmittel und deren Wirkung offensichtlich sehr bewusst und weiß diese angemessen und zielführend einzusetzen.
Vorbehaltlos betrachtet ist Manhole lediglich ein Ermittler-Krimi, der auf eine Art Biowaffe setzt und die dadurch entstehenden Gore-ähnlichen Elemente in Szene zu setzen weiß. Sicherlich ist er nicht das Unterhaltungsmedium der Wahl, wenn man mit der Darstellung von Schmerz, Verletzungen oder Blut nicht umgehen kann. Handlung, Charaktere und die Erzählung selbst hingegen sind durchaus gesellschaftsfähig und absolut nicht einem nischigen - zu Unrecht verpönten - Genre zuzuschreiben. Auch die visuelle Umsetzung rechtfertigt, trotz einer geringen Zahl weniger ästethischen Panel, meiner Meinung nach nicht eine Abstempelung als "schädlich".
Manhole ist eindeutig einer der spannendsten Manga, die ich dieses Jahr lesen durfte. Bereits seit den ersten Seiten Poision City bin ich ein begeisterter Fan Tsutsui-sans Zeichenstils und seiner durchdachten und komplexen Art seine Geschichten zu erzählen. Sie sind anspruchsvoll, unterhaltsam und machen einfach Spaß. So auch Manhole.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Vielen Dank für deinen Kommentar und dein Interesse an meinem Beirtrag \*^*/
Mit dem Absenden deines Kommentars bestätigst du, dass du meine Datenschutzerklärung sowie die Datenschutzerklärung von Google gelesen hast und akzeptierst.