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Die kleine Jungfrau





Die Sonne schien, tauchte den Tag in gleißendes Licht. Der Wind wehte den Geruch des Frühling durch die Luft und die Vögel sangen hingebungsvoll ihre Lieder. Es erfüllte sie mit Ehrfurcht vor der Schönheit der Natur. Sie hob den Kopf und sah gen Himmel, wo sich gerade ein Schwarm Vögel von einem Baum erhob. Sie wollte sie könnte mit ihnen fliegen.

Doch das irdische Treiben hatte sie schon bald eingeholt. Der Lärm unzähliger schreiender und lachender Kinder erreichte sie. Sie liefen um sie herum während sie versuchten einander zu fangen. In ihrem kindlichen Übermut waren sie frei, so frei wie Vögel. Eigentlich waren sie ihr gar nicht so unähnlich, äußerlich betrachtet. Die Lehrer mochten sie alle für Kinder halten. Für eigensinnige Geschöpfe der Natur, die sich nicht um Zahlen oder Gesteinsarten scherten. Die zwar dort waren um zu lernen, doch nur weil man es von ihnen erwartete. Wer von ihnen wollte schon wissen was eine Parabel war. Ihr ging es da nicht anders. Und doch unterschied sie sich von ihnen. Und zwar ganz wesentlich. Sie passte sich ihrer kleinen Welt nicht an. Sah anders aus, war introvertiert und ruhig, mochte nicht was sie mochten. 

Und das war wohl der Grund, warum er das alles tat. Sie wusste, er wollte sie strafen, wenn er auf sie zu kam - so wie jetzt. Er konnte nicht dulden, dass jemand anders war, das sagte sie sich jedesmal, wenn er mit seiner Traube von Gefolge in ihre Richtung marschierte. Es war ihre eigene Schuld, dass seine spöttischen Rufe ihr entgegen schallten und das Gelächter der anderen den Platz erfüllte. Warum passte sie sich auch nicht an? Es war doch völlig egal, ob sie sich kleidete, wie sie wollte, wenn sie nur ihren Friede hatte. Oder nicht? Dan müsste sie das alles nicht ertragen. So wie den Hohn, den er über ihr ergoss, wie einen Eimer kalten Wassers. Sie musste nur tun, was alle anderen taten. Mögen, was alle anderen mochten, ihre Musik hören, ihre Serien sehen, auf Partys gehen, sich schminken. Sie musste nur wie sie sein. Jedesmal wenn sie sich später die blauen Flecken an Armen und Beinen rieb, dachte sie darüber nach. Während sie sie kühlte, stellte sie sich vor, wie es wohl wäre, so zu sein. Und wenn sie im Spiegel die roten Druckstellen, die seine Finger an ihrem Hals hinterlassen hatten, betrachtete, sah sie vor sich ein Gesicht, das nicht einer Puppe glich. Das nicht von wallenden blonden Locken oder glattem kastanienbraunem Haar umrahmt war, sondern von wilden kurzen Fransen. Ein Gesicht das nicht unter Unmengen von Schminke versteckt war. Sie sah sich selbst. Und das wollte sie auch bleiben, deswegen ertrug sie all den Spott und Schmerz. 

Und dennoch tat es unheimlich weh, wenn er sie verspottete und beleidigte. Wenn er ihr vorwarf, hässlich zu sein. War sie denn hässlich? Sie fand nicht. Doch sie wusste es nicht, sie wusste auch nicht, was schön war. Vermutlich all die anderen Mädchen. 

Sie fühlte sich so wertlos, jedesmal wenn er sie schlug und würgte. Wenn er diese kalten Hände um ihren Hals legte und zudrückte. Diese eiskalten Hände, die sich anfühlten, als wäre bereits jedes Leben aus seinem langen, bleichen Körper gewichen. Die Fingerkuppen sich in ihren Nacken drückten. Wenn dieser große Körper, der sie um einen oder zwei Köpfe überragte, sich so bedrohlich über sie stellte. Sie in die Enge trieb. Wenn er auf sie herab sah und diese eisblauen Augen sie dabei nichts als Befriedigung ausdrückten. 

Die Tür schwang mit einem Knall auf und Kichern drängte in den kleinen Raum. Ihre Hände fuhren nach oben, um die roten Abdrücke zu bedecken, als die Mädchen sich kichernd und schnatternd in die Toilette drängten. Das wallende lange Haar wehte an ihr vorbei, streifte ihr Gesicht und sie konnte die Parfums der Mädchen riechen.

"Seht nur, da ist die kleine Jungfrau! Hat dein Liebster dir wieder ein Knutschflecken verpasst? Warum bedeckst du deinen Hals mit den Händen, ist dir das peinlich? Versteck doch seine Liebesbekundungen nicht vor uns. Sicher wäre er traurig, wenn er das wüsste."

Sie sah zu Boden, sah zum Waschbecken, mied es die Blicke der anderen Mädchen zu treffen. Sie wussten genau, dass es keine Knutschflecken waren, doch jede von ihnen stand auf seiner Seite. Sie alle mochten es, sie leiden zu sehen.

"Seht sie euch nur an, die hässliche Gans! Kein Wunder, dass sie keinen Freund hat, die würde ich auch lieber schlagen, als küssen! Ekelhaft!"

Gellendes Gelächter brach in dem winzigen Raum aus, es schien ihn voll und ganz zu erfüllen und umgab sie, wie ein Schwarm lästiger Fliegen. Groll ergriff ihr Herz. Ihre Hände verkrampften sich. Bereuen. Ihr werdet es alle bereuen.



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