Schläfrig öffnete ich die Augen und versuchte durch Blinzeln meine Umgebung zu klären. Verschwommene Umrisse bildeten scharfe Kanten und grau-braune Flecken fügten sich dem Bild ein. Als ich endlich wieder bei Sinnen war, fand ich mich einen merkwürdigen Klassenzimmer wieder. Die Bankreihen waren nach hinten aufsteigend gestuft. Meine vermeidlichen Mitschüler trugen sonderbare einheitliche Uniformen, schwarz mit weisen Ornamenten. Unten am Pult stand ein Mann mit Augenklappe, der aus einem Buch vorlas. Das alles kam mir seltsam bekannt vor.
Der
Unterricht zog sich lange Zeit hin und ich konnte ihm kaum folgen,
mir war auch nicht bewusst, warum ich es hätte sollen. Zu viele
andere Dingen schwirrten in meinem Kopf herum. Wo war ich? Wer waren
diese Leute, die sich so gar nicht über mich zu wundern schienen,
ganz als ob ich hier her gehörte. Meine Sitznachbarin flüsterte mir
sogar ab und an etwas zu und kritzelte ein Wort das Heft, das vor mir
lag. Stadt! Es war eine Aufforderung, die ich nicht verstand. Die
wichtigste aller Fragen schien mir jedoch: Weshalb kam mir diese
Umgebung so vertraut vor?
Nach
dem Unterricht stürmten die Mädchen der Klasse wild brabbelnd und
völlig euphorisch aus dem Raum. Ich folgte meiner Nachbarin, die
offensichtlich der Aufregung nicht beiwohnen wollte. Beim Aufstehen
erst bemerkte ich, dass ich das selbe ungewöhnliche Gewand trug.
Versucht das alles zu ignorieren, schlich ich aus dem Zimmer.
Die
Gänge des Gebäudes erschienen mir ungewöhnlich prunkvoll und erst
der Vorhof als wir ins Freie getreten waren. Ein sprudelnder Brunnen
direkt vor mir. Und weiter hinten konnte ich den Ort des Geschehens
sehen: Ein riesiges Stählernes Tor, vor dem sich Unmengen an
aufgeregten Mädchen versammelt hatten. Mitten drin ein Einzelnes,
das versuchte die anderen im Zaum zu halten, was ihr offensichtlich
nicht ganz gelang.
„Was
soll das?“, fragte ich das ruhige Mädchen neben mir vorsichtig und
deutete in die Richtung des Aufstandes.
„Hm?
Ach das. Nachdem du neu bist, kennst du das wohl noch nicht. Es ist
Klassenwechsel. Die Night Class beginnt jetzt ihren Unterricht. Die
meisten Mädchen und auch einige der Jungs sind immer wie versessen
darauf, diese anderen Schüler zu sehen.“
„Und
du nicht?“
Sie
schüttelte den Kopf. Neugierig sah ich wieder hinüber, versuchte
dem Geschehen zu folgen. Und da sah ich es. Wie Schuppen fiel mir die
Antwort plötzlich von den Augen. Eine Gruppe unmenschlich schöner
Wesen trat durch das sich öffnende Tor, angeführt von einem blonden
Schönling, der die Aufmerksamkeit die ihm zuteil wurde nur zu
offensichtlich genoss. Ihm gefolgt die anderen Schüler der Night
Class, einer ansehlicher als der Andere. Einer stach mir besonders
ins Auge. Der beherrschte und zurückhaltende Kaname. Woher ich das
wusste? Nun, woher wusste ich, dass jeder einzelne von ihnen ein
adliger Vampir war? In dem Moment war mir klar geworden, dass ich
mich dem Manga eingefunden hatte, den ich zuletzt gelesen hatte. Mir
war nur nicht klar weshalb. Träumte ich?
„Komm.“
Schlagartig
wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Die sanfte und etwas
resignierte Stimme meiner Klassenkameradin holte mich ins Jetzt
zurück. Was auch immer das Jetzt war. Als ich sie ansah, hatte sie
mich bereits ein gutes Stück zurückgelassen. Da fiel mir ihre Notiz
wieder ein und schnell eilte ich ihr nach. Mich überkam ein mulmiges
Gefühl bei alle dem. Aufgewacht in einer erfundenen Welt und doch
fühlte es sich so real an, wie die Wirklichkeit. Da ich aber in dem
Moment nichts anderes tun konnte, folgte ich ihr einfach in die
Stadt.
Wir
schlenderten ein wenig durch die Straßen, gönnten uns einen warmen
Tee in einem hübschen kleinen Laden und unterhielten uns etwas.
Wobei das Mädchen, wie mir langsam bewusst wurde, weniger gesprächig
war, als ich es noch im Unterricht angenommen hatte. Sie rührte
lediglich gedankenverloren in ihrer Tasse herum.
„Fehlt
dir etwas?“, fragte ich leicht besorgt und holte sie somit zurück.
Etwas verwirrt sah sie mich an, schüttelte dann aber den Kopf.
Später
am Abend sahen wir noch einige der wenigen Geschäfte an, die es im
Ort gab. Ich konnte zwar dem Gefühl des Unbehagens nicht nachgeben,
dennoch hatte ich Spaß an diesem Tag. Zumindest nach der Schule.
Allmählich fragte ich mich sogar, wie es wohl wäre, für immer in
dieser Welt zu leben. Ob ich mich hier wohl fühlen könnte?
Vor
lauter Träumerei hatte ich gar nicht bemerkt, wie ich mich verlaufen
hatte. Plötzlich fand ich mich in einer schattigen Nebenstraße
wieder. Alleine. Suchend sah ich mich nach meiner Begleitung um, die
jedoch nirgends zu sehen war. Und langsam wurde mir bange. Aus dem
Manga wusste ich, was es hieß in diesem Ort allein in einer dunklen
Gasse zu stehen. Mein Herzschlag erhöhte sich hörbar, als ich
hektisch nach einem Ausweg suchte. Wo zum Himmel war ich hergekommen?
Dieser Weg erschien mir unendlich und ganz ohne Ausgang. Verzweifelt
drehte ich mich im Kreis, hielt Ausschau, vergeblich.
Und
da war es auch schon soweit. Hinter mir hörte ich ein bedrohliches
Knurren, wie von einem Tier. Schwerer Atem schnaufte und hallte von
dem Wänden wieder. Mir war sogar, als hörte ich Tropfen auf den
Stein aufschlagen. Platsch. Platsch. Zögerlich drehte ich mich um
und wünschte mir noch im selben Moment es nicht getan zu haben. Ein
grausiges Monster in Menschengestalt saß dort auf einem Fenstersims.
Es starrte gierig mit blutroten glasigen Augen auf mich hinab. Die
spitzen Zähne traten aus seinem Mund heraus und die Zunge hing
geradezu lechzend dazwischen.
Ein
Level E! Ein verkommener Vampir, einst ein Mensch, der seine Gier
nach Blut nicht mehr kontrollieren konnte. Und er hatte Hunger. Nach
mir. Ein unschlagbarer Instinkt schaltete sich ein und bewegte meine
Füße dazu, mich von dort fort zu tragen. Nur sagte mein Kopf, dass
es ohnehin keinen Sinn hatte. Wer konnte schon einem Vampir
entkommen. Im Buch taten sie das nie. Ich hatte Angst. Unsagbare
Angst die mein Herz und meine Seele verschlang, sie auffraß. Der
Puls pochte an meinen Schläfen. Meine Hände waren feucht. Die Sicht
verschleierte sich unter Tränen. Doch das alles war nicht wichtig.
Wichtig war nur, dass ich lief. Und das tat ich. Weg. Weit weg.
Schnell. Aber nicht schnell genug.
Ein
herzzerreißender Schrei ertönte und verklang in der Dunkelheit, als
ich zu Boden ging. War ich das? Nein. Stechender Schmerz gemischt mit
unerträglicher Hitze vereinnahmten meinen Hals. Mir wurde
schwindelig. In meinem Kopf wiederholte sich nur ein Geräusch,
wiederkehrend, unaufhörlich. Gulp. Gulp. Mein Blut rauschte in
ungeahnter Geschwindigkeit durch die Venen. Ich hörte ihn schlucken.
Wieder und wieder. Bis meine Augen schwer wurden und meine Sinne
schwanden. Alles um mich herum wurde leise. Den bestimmten Aufruf
neben mir nahm ich nur noch am Rande wahr.
Als
ich das nächste Mal das Licht der Welt erblickte, dachte ich, ich
sei neu geboren. Konnte ich tatsächlich leben? Ein vertrautes
Gesicht beugte sorgenvoll über mich. Es war allerdings nicht meine
Nachbarin. Fransiges braunes Haar kitzelte mich an der Nase. Ich
blinzelte ein paar Mal. Eigentlich wollte ich das Kribbeln
vertreiben, doch meine Arme waren zu schwach. Ich war zu schwach sie
heben.
Ich
lag am Boden, auf dem kalten Pflasterstein der Stadt. Grau. So sollte
er sein. Unter mir war alles rot. Schön tiefrot und glänzend. Ich
konnte mich darin spiegeln. Konnte in meine eigenen ausdruckslosen
Augen blicken. Und die des Mädchens über mir. Auch sie spiegelte
sich im Rot. Hinter dem Mädchen blickte ein weiteres Gesicht auf
mich herab. Zornig. Abweisend. Es verschwamm, als ich angestrengt
zuckte und das Rot begann zu beben.
„Los,
lass uns gehen“, hörte ich eine Männerstimme grummeln und sah die
Lippen des weißhaarigen Jungen sich bewegen. Das Mädchen sah kurz
über die Schulter zu ihm hinüber, dann wieder mich an. Sie legte
eine Hand an meinen Hals. Die Berührung war kalt. Ich fühlte mich,
als hätte ich darunter gezuckt, doch selbst dazu musste ich
eigentlich zu schwach gewesen sein.
„Sie
lebt noch“, bestimmte das Mädchen, „Lass sie uns zum Direktor
bringen.“
„Na
schön.“
Ich
lebte also wirklich. Ein Glück.
Wieder
öffnete ich träge meine Augen, blinzelte, in dem verzweifelten
Versuch etwas erkennen zu wollen. Diesmal sah ich ein Zimmer, oder
eher die Decke eines solchen. Schwach drehte ich den Kopf. Um einen
Tisch standen Leute. Das Mädchen von eben und der weißhaarige
Junge, der so grimmig geguckt hatte. Daneben ein Größerer, er sah
aus wie... Kaname Kuran. Als er sich in dem Moment zu mir umdrehte,
hatte ich zumindest darüber Gewissheit. Meine Lider wurden schwer.
Sie waren es die ganze Zeit. Es schien mir unmöglich sie lange offen
zu halten. Immer und immer wieder musste ich erschöpft die Augen
schließen.
Beim
nächsten Öffnen lehnte wieder das Mädchen über mir. Sie lächelte
mich erleichtert an.
„Du
lebst. Wie geht es dir?“
Ich
musste die Augen schließen.
„Lass
sie in Ruhe. Sie muss sich erholen“, murmelte die Stimme des
Jungen. Mein Kopf dröhnte. Was war passiert? Ich konnte mich an
nichts erinnern.
„Deckt
sie zu, das Mädchen zittert ja“, ertönte da eine andere Stimme.
Ich zwang mich hinzusehen. Ein Mann mit Brille kam auf mich zu, eine
Decke in den Händen. Er warf sie mir über. Dann fielen meine Lider
erneut herab.
Als
ich sie das nächste Mal öffnen konnte, fühlte ich mich, als hätte
ich Jahrelang geschlafen. Meine Glieder waren schwer. Ich fühlte
mich schlapp und ausgelaugt. Der Atem ging flach und sehr langsam.
Und mir war unglaublich heiß. Gern hätte ich die Decke von mir
geworfen, doch konnte ich nicht. Ich war wie erstarrt. Was war nur
los mit. Versunken starrte ich die weiße Decke an. So rein. Die
zierliche Lampe an der Decke. Durch das Fenster fiel fahles Licht
herein, das sich erst seinen Weg durch die schweren Vorhänge bahnen
musste.
Mit
einem Mal war ich hellwach. Wie elektrisiert setzte ich mich auf.
Zuhause. Ich war Zuhause! In meinem Bett. In meinem Zimmer. In meiner
Welt. Wie war das möglich? Hatte ich ich nur geträumt? Verwirrt
kratzte ich mich am Hals. Er juckte ganz schrecklich und die Stelle
fühlte sich seltsam warm an. Ein Traum. Das musste es wohl sein.
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