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Frei Schnauze
Ich habe Vaginismus


Jeder, absolut jeder hat sein Päckchen zu tragen. Je nach Blickwinkel der Betrachtung können diese unterschiedlich groß und schwer erscheinen, doch Fakt ist, davon bleibt keiner verschont.
Achtung Triggerwarnung! Dieser Beitrag behandelt sowohl sexuelle Themen, als auch körperliche und psychische Traumata. Wenn du selbst Vaginismus hast, dann lies diesen Text bitte nicht, denn er ist nicht sonderlich aufbauend. Ich möchte hiermit Außenstehenden näher bringen, wie es sein kann, damit zu leben.

Ich will hier gar nicht groß über das "was ist Vaginismus" sprechen, denn ich bin kein Arzt und kein Psychologe.  Dazu finden sich online zahlreiche kompetentere Texte, zum Beispiel der eben verlinkte. Viel mehr möchte ich darüber reden, wie es ist, damit zu leben. Nur so viel zum Verständnis: Wenn eine Frau Vaginismus hat, fällt es ihr schwer, etwas vaginal einzuführen und sei es nur ein Tampon. Je nach Ausprägung der Krankheit, kann eine Berührung im Intimbereich mit so immensen Schmerzen (und Ängsten) verbunden sein, dass selbst eine äußerliche Berührung zur Qual wird. An die Benutzung eines Tampons ist da nicht zu denken, geschweige denn an Sex.



Wie ist das für mich?
Ich bin kein Experte in dem Gebiet, habe mein "Wissen" auch nur auf Ärzteseiten und Hilfeforen angelesen und beziehe mich hauptsächlich darauf.
Anscheinend kann Vaginismus viele Ursachen haben, meist sexuelle Traumata bis hin zur Vergewaltigung. Das kann ich von mir jedoch nicht behaupten. Ich hatte dieses Problem schon immer. Als ich in die Pubertät kam, waren die Medien und der Journalismus sehr damit beschäftigt, ein bestimmtes Bild von Sex aufzubauen. Seien es nun Dr. Sommer, Galileo mit diversen unnötigen Beiträgen, 0815-Filme mit Sexszenen oder sonst etwas. Selbst im Gespräch mit Personen die bereits Sex hatten, kam ich immer auf den gleichen Nenner: Sex tut weh, zumindest das erste Mal.

Mir wurde das von so vielen Seiten suggeriert, dass ich anfing, daran zu glauben und eine panische Angst vor diesem Schmerz entwickelte. Dazu kam dann mein erster Freund, der selbst jungfräulich war und unbedingt wissen wollte, wie sich dieses Sex denn anfühlt. Neben einem Ultimatum, die Beziehung zu beenden, wenn wir in Zeitraum X keinen Sex hatten, versuchte er auch, mich dazu zu drängen. Wenn ich heute davon rede, sage ich gerne, er wollte mich zwingen. Wahrscheinlich war das nicht seine Intension, aber dafür das bei mir ankommende Gefühl.
Vorwürfe wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen lief, bis hin zum Streit. Der Wunsch nach "lass uns doch mal dies und das und jenes ausprobieren, um einzudringen". Die Umsetzung dessen, ohne auf meine Empfindung zu achten. Der Schmerz den ich durchlebte. Irgendwann bin ich abgestumpft und habe einfach alles über mich ergehen lassen. Warum? Ich war dumm. Ich wollte ihn nicht verlieren. Er war immerhin der einzige, der nett zu mir war. Freunde hatte ich zu dieser Zeit kaum bis keine.

Das alles oder vielleicht auch anderes, führte dazu, dass ich eine so extreme Angst vor intimen Berührungen entwickelte, dass ich noch heute Jungfrau bin. Jeglicher Versuch etwas vaginal einzuführen, lässt mich ungeahnte Schmerzen durchleben. Bei unbedachtem Vorgehen kann sogar eine äußerliche Berührung einfach nur schmerzhaft sein. Was als liebevolle Zärtlichkeit gedacht war, kann mich qualvoll aufschreien lassen. Tampons kann ich nicht benutzen. Der Frauenarztbesuch ist schlimmer, als jeder Zahnarzt es je sein könnte. Sexueller Umgang ist meist nicht mehr als eine Qual.



Es beeinflusst jede Beziehung
Ob du willst oder nicht, Sex ist ein Thema. Eine Beziehung zu führen, hat sich für mich als ultimative Herausforderung herausgestellt. Denn zusätzlich zu den ohnehin vorhandenen Schwierigkeiten und Kompromissen, die jede Beziehung irgendwann mal aufbringt, habe ich keinen Sex.

Es ist in erster Linie schon mal schwer einen Partner zu finden, der ohne (vaginalen) Sex leben kann. Unterhält man sich im Freundes- und Bekanntenkreis über das Thema, hört man aus allen Ecken nur, wie wichtig dieses körperliche Verlangen für eine gesunde Beziehung sei. Dass es nun mal dazugehöre. Und wie unvorstellbar der Verzicht sei. Natürlich gibt es Menschen, die das nicht ganz so eng sehen oder gar asexuell sind. Solche gibt es in meinem Umfeld aber scheinbar nicht.
Menschen und besonders potenzielle Anbandlungspartner kennenzulernen, gestaltet sich meist eher ernüchternd, sobald das Thema Sexualität aufkommt. Viele haben eine ganz genaue Vorstellung davon, was sie wollen und nicht wollen und vertreten diese standhaft. Bevor ich also überhaupt darüber nachgedacht habe, eine Beziehung einzugehen, muss ich mir anhören, dass Sex auf jeden Fall wichtig ist und unbedingt dazugehört. Dafür kann ich dann auf absolute Treue vertrauen. Toll. Mein Trauma bedankt sich. Wenn ich dann dagegen argumentiere, werde ich als prüde oder hysterisch hingestellt. Meine Reaktion trifft so gut wie immer auf maximales Unverständnis und das Gegenüber interessiert sich noch nicht einmal für meine Gründe oder Gedanken und Gefühle (redet aber an dem Punkt schon von Beziehung).

Bin ich dann in einer Beziehung, wahlweise mit jemandem der mit dem Thema umgehen kann - oder zumindest glaubt es zu können -, geht der Stress erst richtig los. Denn anscheinend kann niemand damit umgehen.

"Also wenn das nicht geht, wie wär's stattdessen wenigstens mit dem?"
"Hey, also das was wir haben ist voll ok, aber etwas öfter wäre schon schön."
"Ich bin doch vorsichtig, das kann doch jetzt gar nicht wehgetan haben."
"Warum bist du so passiv, das ist voll langweilig."
"Immer muss ich die ganze Arbeit machen."

Ich. Habe. Schmerzen.
Ich habe Angst.
Ich bin mehr damit beschäftigt, Schmerzen zu vermeiden, meine Angst zu unterdrücken und mich selbst zu beruhigen, als du damit dich zu bewegen.

Ich will mich nicht rechtfertigen. Es ist jedermanns und jederfraus gutes Recht, mit dem eigenen Körper nur so umzugehen, wie er oder sie es für richtig und angenehm hält. Niemand, absolut niemand hat das Recht darüber zu entscheiden oder sich ein Urteil zu bilden. Trotzdem rechtfertige ich mich. Weil die Leute nicht verstehen oder es nicht verstehen wollen, was es für mich heißt, diese Schmerzen zu haben.



Das Thema mit der Jungfräulichkeit
Ich gehe mit dem Vaginismus und meiner Jungfräulichkeit nicht hausieren - bis jetzt -, mache aber auch kein Geheimnis daraus. Interessant wird es immer dann, wenn jemand auf die grandiose Idee kommt, "ich hab noch nie" zu spielen. Zwar sehe ich keinen Grund, über all die sexuellen Themen zu lügen, doch auf der anderen Seite ist es nach 8 Jahren, in denen ich nun mit dem Thema umgehe, doch sehr mühsig immer und immer wieder zu erklären oder sich zu rechtfertigen, warum dieses und jenes.

Erwähne ich die Worte "Jungfrau" oder "Schmerzen beim Sex" gegenüber einem Typen, der unter Umständen noch potenziell auf mich steht, ist dieser immer der Meinung, der Eine zu sein. Der Eine welcher mich aus meiner Misere retten. Der Eine der anders ist. Der Eine der das kann.

Bin ich in einer Beziehung, was abgesehen von Dude Number One glücklicher Weise immer mit Menschen der Fall war, die Verständnis für meine Situation hatten, kommt zwangsweise immer irgendwann der Satz. Dieser eine Satz der zwar lieb gemeint ist und mich aufbauen und mir Hoffnung geben soll, der aber gleichzeitig maximal frustrierend ist. Vorallem dann, wenn man ihn zum 16748. Mal vom 13. Typen gehört hat.

"Wir schaffen das schon."

Nein, tun wir nicht. Du bist weder der erste, der das sagt, noch der erste der es versucht, noch der 5. der daran scheitert. Ich weiß, ihr meint es gut, aber bitte, nein.

Ich will mir nicht anhören müssen, dass ich nicht so schnell aufgeben solle, nur weil ich nach verfickten acht Jahren dann doch endlich die Hoffnung und den Kampfgeist verloren habe, in meinem Leben jemals "richtigen Sex" zu haben.

Ich will mir nicht anhören müssen, dass ich einfach nur Geduld haben soll und das kommt schon irgendwann.

Ich will mir nicht anhören müssen, dass ich einfach nur den richtigen Kerl dafür brauche.

Immerhin habe ich es bald mit allem versucht. Mit Liebe und Einfühlsamkeit, mit Vertrauen, mit Gewalt, alleine, Augen zu und durch, mit Schmerzmitteln, mit Alkohol, in allen erdenklichen Stellungen, mit und ohne Flutschkram. Just don't.

Ja, ich hätte gerne "richtigen Sex". Ja, ich würde gerne wissen, wie sich das anfühlt. Ja, ich setze mich extrem unter Druck deswegen. Nein, ich brauche keine Leute, die mich auch noch von Außerhalb unter Druck setzen. Angst und Schmerzen zu haben, bedeutet nicht, dass ich es nicht will. Es bedeutet, ich kann nicht.
Das alles klingt sehr negativ, das weiß ich, das liegt daran, dass es das für mich ist. Ich habe keine Hoffnungen mehr und ich sehe keinen Ausweg. Vielleicht habe ich mich auch schon lange damit abgefunden, dass ich niemals "richtigen Sex" haben werde und dass Intimitäten nichts als wohltuende Schmerzen sind. Das mag traurig und zynisch klingen, aber das ist es, was Vaginismus für mich bedeutet, wie sich Vaginismus für mich anfühlt.

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Kommentare

  1. Liebste Rhukii,
    ich verfolge dich schon einige Zeit und habe mit gemischten Gefühlen deinen Beitrag gelesen. Ich habe auch überlegt ob ich ein Kommentar bei einem so sensiblem Thema verfassen möchte aber ich möchte dir hiermit auch meine Erfahrung teilen denn du bist nicht allein.
    Vorweg: Ich habe mich mit Vaginismus nicht lange beschäftigt. Ich selbst bin vor ca 2 Jahren chronisch am VVS (Vulva Vestibulitits Syndrom) erkrankt. Diese Krankheit ist noch nicht so weit erforscht und es gibt keine genaue Heilung. Auch haben die Ärzte ein halbes Jahr gebraucht um herauszufinden was ich genau habe und sind letzten Endes auch nur durch einen Facharzt darauf gekommen. Diese Krankheit hat die selben Symptome wie deine Krankheit - kurz: Schmerzen im vaginal Bereich,es geht nichts rein. Nach diesem halben Jahr habe ich eine OP bekommen und zwar wurden durch den Facharzt chronisch entzündete Schleimhäute erkannt und diese weg gelasert. Es hat geholfen,allerdings kann es immer wieder passieren. Ich habe durch meine Krankheit einiges über mein Leben erkannt und habe es komplett umgelebt.
    Jetzt kurz ein kleiner Abschnitt zu dem Thema Sex in der Beziehung. Ich heirate dieses Jahr meinen Verlobten. Wir sind seit 4 Jahren zusammen und haben in unserer Beziehung kaum Sex. Weder vor noch nach der Krankheit. Für mich war Sex schon immer etwas,das ich nicht brauche. Ich habe nicht die Erfahrung wie du aber ich möchte dir mit diesem Text ausdrücken das er den passenden Deckel gibt. Um das ganze zu verdeutlichen - wir leben zusamen und haben auf ein Jahr gerechnet nicht öfter als 10x Sex,wenn überhaupt.

    Ich hoffe der Text kommt nicht falsch herüber... ich schätze dich und wünsche dir alles gute für deine Zukunft. Wenn du jemand zum reden brauchst bin ich da.

    Viele liebe Grüße,
    Jule von f0xworldblog!

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    Antworten
    1. Liebe Jule, vielen Dank für deinen Kommentar und die ehrlichen Worte. Wenn ich auf ein so sensibles Thema keine Kommentare wollte, hätte ich es nicht veröffentlicht oder aber die Kommentarfunktion deaktiviert. Im Gegenteil freut es mich sogar, Erfahrungswerte andere zu hören.
      Ich habe auch oft das Gefühl, Sex einfach nicht zu brauchen, dann aber habe ich trotzdem Lust. Es ist ein seltsamer Zwispalt.

      Aber es freut mich, dass du jemanden gefunden hast, der mit dem Thema scheinbar gut umgehen kann und wünsche euch alles Gute.

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  2. Hut ab für deinen Mut, so ein Thema anzusprechen! Du bist sicher nicht alleine, und bei diversen Männern "da draußen" sicherlich kein leichtes unterfangen. Inhaltlich kann ich aber nur wenig beitragen...

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    1. Man muss nicht immer inhaltlich beitragen können, um generell etwas dazu zu sagen. Danke für deinen Kommentar :)

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